Kritik ist Selbstoffenbarung

Jede Kritik oder Angriffe gegen Ihre Persönlichkeit gleich welcher Art sollen Ihren Selbstwert mindern und das Empfinden von Wertlosigkeit erzeugen. Zugleich will jemand Macht über Sie gewinnen nach dem Motto: Ich bin wertvoller als Du. Dieses Gefühl hätte er oder sie gern.

Die simple Botschaft des Kritisierenden lautet allerdings „Du bist nicht liebenswert.“ Viel wichtiger ist aber die wahre Botschaft dieses kindlichen Egos: „Ich fühle mich nicht wohl, weil ich nicht empfinde, dass ich liebenswert sei.“ So einfach ist das schon. Selbstverständlich kann man lange darüber nachdenken, welches Verhältnis denn zwischen Macht und Liebe bestünde. Dann kommt man unter anderem zu dem Schluss, dass Macht ein Ersatz für Liebe sei, unter Umständen sadistisch erworben. Aber die Komplexität des Themas bewältigt nicht einmal die Kunst, vielmehr legitimiert sie diese; selbst die Redaktion Shakespeares kam hier an ihre Grenzen.

Was immer Sie über sich hören oder auch lesen: Stellen Sie sich konsequent vor, es teilt da jemand alleine sich selbst mit, als rede jemand mit einem Spiegel. Lesen Sie in der Kritik der Anderen bitte anhand beider eben beschriebenen Muster ausschließlich, aber wirklich: ausschließlich mirroringBekenntnisse der Anderen selbst. Es sind die ungewollten Offenbarungen der eigenen Fehler und Schwächen der Kritisierenden, die deutlich zu Tage treten. Sichtbar wird noch viel mehr: Nämlich Negatives, das ihnen selbst von anderen vorgeworfen worden ist und das sie noch immer sich vorhalten. Gehen Sie dem gezielt nach – indem Sie freundliche Fragen stellen. Wenn jemand Ihnen mangelnden Verstand oder „reduzierte Intelligenz“ vorwirft – bitte schön: Fragen Sie mal, warum diese Größen eventuell so wichtig wären. Da gehen gleich ganze Bilderbögen auf. Auf einer Metaebene ist folgender Abtausch möglich:

Kritik: „Sie sind das Allerletzte! Eine Unperson. Ein Nichts!“
Replik: „Ein wirklich schwerer Fall. Wie gehen Sie mit dieser persönlichen Last um?“

Bürsten Sie also jeden Satz konsequent gegen den Strich, egal wie absurd oder unlogisch es Ihnen zunächst erscheinen mag: Setzen Sie anstelle aller Anreden wie „Du“ oder „Sie“ und aller dazu gehörenden grammatikalischen Ableitungen immer ein Wort, das sich auf den Kritisisierenden selbst bezieht. Gut geeigent für diese Übung sind Schmähbriefe. Die geben am meisten her – über den Verfasser. Sollte man Sie diffamieren oder Verleumdungen ausstoßen, nun, selbst in diesen üblen Manipulation stecken Metaphern, deren Basis, nämlich ein Vergleich, garantiert ihren Ort irgendwo und irgendwann im Leben des Kritisierenden hat. Interessanterweise gilt das alles auch für die lobenden Kritiken. Diese sind ebenso aufschlussreich alleine mit Blick auf den Redenden oder Schreibenden.
Regel: In der Regel lobt ein Lobender sich selbst oder sein aktuelles Lebensgefühl.

Sie sind also mit der Kritik Anderer gar nicht gemeint! Vorgehalten wird einem da eine ganze Menge aus dem Leben der Anderen: Die Väter und Mütter, Lehrer, ehemalige Partnerinnen oder Partner, Persönlichkeiten und deren Aussagen, ein Bilderbogen an Botschaften, welche alleine die Kritisierenden selbst betreffen. – Denken Sie bitte auch an diese Wahrheit, wenn Sie selbst Kritik üben möchten. Da wird Ihnen gleich etwas ganz Entscheidendes auffallen.

Geteilter Meinung

Wenn es denn nur das ist. Da bestehen ja immerhin noch Chancen auf eine Verständigung. Obwohl genau jetzt der Punkt erreicht ist, an dem wir uns auch für eine Eiszeit entscheiden könnten, für eine Zeit des stillen Ärgers, der Verwünschungen, sogar des Hasses. Oder eben doch noch für die Aufnahme der Gespräche, für den Dialog – auch wenn’s zunächst schwer fällt.

Geteilter Meinung. Ein recht vernünftiger Ausdruck – angesichts der Sachlage, dass Zwei oder Mehrere sich nicht einigen können oder es nicht mögen. Ein zweifellos konstruktiver Begriff. Ein Zwischenergebnis. Auf dem Weg zu einer Lösung. Sie steht noch aus, auch wenn in dieser Lage die Aussicht auf das Einigen zuerst nicht so ganz gut erscheint.

A. Paul Weber - Geteilter Meinung

An diesem Punkt sind Kriege entstanden oder Verhandlungen aufgenommen worden, die den Frieden bewahrten. Es gilt, den Standpunkt oder die Meinung des Anderen zu verstehen, zu tolerieren und zu akzeptieren. Zumindest dann, wenn man zur Argumentation noch bereit ist.
Das Miteinanderreden, das Argumentieren, Diskutieren und sogar das manchmal unerbittliche Streiten gehören zur Demokratie. Dieses rhetorische Handeln ist ein demokratisches Handeln. Die Meisten können das leider nicht, sie ertragen schon die Meinungsverschiedenheit nur schwer und bleiben darüber geradezu beleidigt. Weil ihre so wertvolle eigene Ansicht nicht prompt akzeptiert wird. Sie verwechseln eine Meinung mit ihrer gesamten Person. Mancher hat solchen nicht seltenen Kandidaten schon den Arzt empfohlen.

Geteilter Meinung sein, es gehört zum Prozess der Erörterung von Lösungen. Sehr oft auch das Kämpfen um einen Standpunkt, um das Rechtbehalten, die Lust am Streiten. Und schließlich bringt auch das Einigen Freude.

Den Dialog sollten wir suchen, und zwar aus Egoismus. Erstens erleichtert der Dialog das Leben. Zweitens kommt man in der Regel nur auf diesem Weg an persönliche Ziele. Drittens hat es immerhin den guten Nebeneffekt, dass wir andere wohl stimmen und uns relativ wohlgesonnen erhalten. Den Dialog suchen, aus humanistischem Antrieb. Frieden ist besser. Und dabei darf aufrichtige Humanität den konstanten Egoismus nicht übersehen. Er ist legitim. Ihn müssen wir sachlich kalkulieren. Deshalb brauchen wir den Diskurs. Wie simpel.

Bleibt lediglich das Problem der Dummheit. Nun, nicht verzagen!

„Brüllerei stößt uns heute nur noch ab“

Werbung für ein Buch mache ich grundsätzlich nie. In der Regel erkennt
man ja schon an einem gut gewählten Titel dessen gesamten Inhalt.

Es ist eines erschienen zur Rhetorik des Abendlandes und deren Entwicklung: „Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik.“ Fischer, 2015. Der Germanist Karl-Heinz Göttert hat es geschrieben und darin große Redner verglichen. SPIEGEL ONLINE hat ihn wie zuvor auch der Deutschlandfunk interviewt.

Das publizierte Gespräch gibt die allerdings interessante Quintessenz des Buches wieder. Man braucht es nur lesen – das Buch dann nicht mehr.